Entnommener Artikel der Zeitschrift |
"Häuser werden für Menschen gebaut. Und Menschen haben Bedürfnisse. Und diese Bedürfnisse sind sehr verschieden." Baumeister Antonio Padrón hat in der Tat keine Häuser von der Stange anzubieten. Foto: Susanne Bernard/Lanzarote37°
Ein Haus ist für Antonio Padrón nicht einfach ein Haus, es ist ein Gesamtkunstwerk. Verliebt bastelte er an jedem noch so kleinen Detail. Foto: Lanzarote37°/Jageneau
Bunte Glaskunst für die Oberlichter...
Padróns Kamine sind Kunst und Provokation zugleich - dabei aber auch immer ein anderer Schmuck für jedes Haus. Keiner gleicht dem anderen. Foto: Lanzarote37°/Jageneau "Die Treppe ist das Rückgrat eines jeden Hauses", so Antonio Padrón. Grund genug ihr viel Aufmerksamkeit zu schenken. Foto: Lanzarote37°/Jageneau
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Schon ist man vorbeigefahren. War das nicht irgendwie - Hundertwasser? Der, der schon immer was gegen die Geometrisierung der Architektur und des Menschen hatte. Oder Gaudí? Dieser katalanische Architekt, dessen Leistungen auf der Architektenschule in Barcelona nicht sehr überzeugend waren und dem der Schulleiter bei der Übergabe seines Abschlusszeugnisses zuseufzte: "Qui sap si hem donat el diploma a un boig o a un geni: el temps ens ho dirà." ("Wer weiß, ob wir den Titel einem Verrückten oder einem Genie gegeben haben – nur die Zeit wird es uns sagen." ).
Die Zeit hat es uns gesagt. Gaudí war und ist einer der Größten. Ein Haus war für ihn nicht einfach ein Haus, es war ein Gesamtkunstwerk. Verliebt bastelte er an jedem noch so kleinen Detail, auch im Inneren. Durch eine frühe körperliche Behinderung war er zum Naturbeobachter herangereift. Vielleicht schuf er deshalb mehr organische Formen. Scharfe Grate im 90-Grad-Winkel gibt es in der Natur kaum, dafür aber viele Rundungen, Unregelmäßigkeiten, Bruchstücke mit Ecken und Kanten. Es sind diese Formen, die man in seinen Werken zuhauf wieder findet. Und in uns selbst. Vielleicht fühlen wir uns deshalb so wohl mit ihnen. Und in ihnen.
Kämpfer gegen die Uniformität
Um Antonio Padrón sein zu können, muss man also ein Kämpfer sein. Sein Kampf gilt der Wiederholung allzu Bekanntem, allem Geklonten gegenüber. Anfang der Siebziger war der Bürgermeister von La Oliva auf Fuerteventura sein ärgster Gegner, von allen der "Marqués" genannt. Von Qualitätstourismus, herbeigezogen durch Malerei, Bildhauerei und Architektur, wollte der nichts wissen. Es begann eine Hetzjagd von mehr als 20 Jahren, an deren Ende Padrón von den Gerichten freigesprochen wurde. Vorher aber durfte er über zwölf Jahre das Land nicht verlassen, befand sich praktisch unter Arrest. 1982 lernte er César Manrique kennen, und der lud ihn ein, sein Schüler zu sein. Eine fruchtbare Zusammenarbeit begann. Das 19. und beginnende 20. Jahrhundert mit seiner gut situierten, gebildeten, urbanen Oberschicht hatte es Gaudí in Barcelona, der katalanischen Metropole, leichter gemacht. Wenn heute so einer nach Tías auf Lanzarote käme, dann wäre er dort genauso zur Bedeutungslosigkeit verdammt wie ein Jesus, stünde er nochmals auf, an der katholischen Amtshierarchie zerbräche. So einen will man nicht. Weder einen Jesus in der katholischen Kirche noch einen Gaudí, Hundertwasser oder sonst wen von Bedeutung in Tías. Solche Leute stören nur, machen aufmerksam. Erheben den Finger, ohne den Finger zu erheben. Sind einfach nur anders – und gut. Machen auf die Sünden, die gegen sich selbst und gegen die anderen, gegen die Landschaft, gegen die Materie – unserer aller Mutter – aufmerksam, und das alles auch noch ohne moralapostelig-triefende Arroganz – diese Leute sind besonders gefährlich. Quadratische Hirne sind inkompatibel mit der Rundung, die ein Trost ist für Menschen, die an den präzise ausgearbeiteten Ecken ihrer vorgefertigten Häuser mit ihren tausendfach geklonten Modulen leiden. Liebloser Umgang mit dem Boden, unserer Heimat, mit unserer Insel, Schmutz, Denkfaulheit, die Benutzung des städtischen Bodens als Schutthalde, als Aschenbecher für stinkende Kippen oder ausgelutschte Kaugummis, alles zu besichtigen direkt vor unserer aller Augen und natürlich auch vor den Häusern des Antonio Padrón, all das ruft keinen Amtsschimmel zu heftigem Wiehern auf. Häuser, die Menschen eine Heimat zu geben imstande sind, schon. Quadratische Hirne wollen nur Quadrate sehen, die Rundung wird zum Feind erklärt, die Fantasie darf nicht obsiegen, bedeutete sie doch ein sehr heftiges Infragestellen des quadratischen Selbst. Des Einverständnisses der allzu Simplen sicher, wird die Fantasie als unvereinbar mit dem Wahren, Richtigen und selbstverständlich Guten deklariert.
Humane Architektur
Wenn man die Realität als Maßstab des Wahren, Richtigen und Guten heranzieht, dessen also, was die Mächtigen als solches ansehen, dann wird man sehr leicht fündig: Manrique wollte eine humane Architektur. Die scharf gezogenen 90-Grad-Winkel des modularen Duplex waren nicht seine Welt. Aber, wo man auch immer hinschaut, genau diese Architektur hat sich durchgesetzt. – Kubismus, besser die kubistische Bauweise, ist keinesfalls mit Einfallslosigkeit gleichzusetzen. Wenn deren Symbiose aber nun glänzend gelungen ist, dann ist dies einer Unzahl von Zombiearchitekten zu verdanken, deren kraftlose, lebensferne Bauweise selbst dem wohlwollensten Betrachter allzu augenfällig ist. Und – sind das noch Häuser für Menschen, die laut Prospekt "aus den besten Materialien gemacht" sind, deren Wände aber so dünn sind, dass man alles mitbekommt, was der Nachbar gerade so treibt? Respekt vor der Individualität des Menschen sieht anders aus. – Und von der Einbindung von Häusern in ein Dorf unter sozialen, kulturellen und ökologischen Gesichtspunkten, hierzulande gemeinhin "urbanismo" genannt, hätten die hiesigen Planer wohl auch irgendwann einmal etwas während ihrer Ausbildung erfahren können, wenn sie nicht gerade an diesem Tag von einer sehr lästigen Grippe heimgesucht worden wären.
Das Haus - "la tercera piel"
Antonio Padrón wollte etwas anderes. "Das Haus ist die dritte Haut des Menschen", wiederholt er mantramäßig. Und man muss sich in seiner Haut wohl fühlen. Häuser sind gemacht für Menschen, und der Mensch hat Maße. Leonardo da Vinci wird zitiert, seine Anthropometrie. Der Mensch hat Bedürfnisse. Bedürfnisse der verkehrstechnischen Anbindung an seine Arbeit und die urbanen Zentren. Er will die Natur genießen. Er muss sich in seinen Wohnformen der veränderten Natur anpassen, aber er will sie nicht verlieren. Unser Haus soll inspirierend sein, nicht deprimierend. Die frühere Bauweise, sagt Padrón, sei heute nicht mehr zeitgemäß. Viel zu viele Fenster und Türen würden da heute verbraucht, viel zu viele Korridore. Das koste eine Unmenge Platz und Geld. Die runde Form ist die Lösung. Auch in Wohnanlagen sei Individualität angesagt. Nebenbei bemerkt: Es handelt sich in der Tat um eine Urbanización, die einmal, wenn alles verkauft ist, einen Präsidenten haben wird. Aber jedes Dach ist verschieden, jeder Kamin, jeder Lichtschacht aus bunten Gläsern. Keine Wohnungsanatomie gleicht der anderen. Auf 80 bis 130 Quadratmetern finden sich organische Wohnhöhlen, die einladen, sich erst mal zusammenzurollen, sich in eine Ecke zu legen und zu fühlen: kann ich hier zu Hause sein? Wirklich: zu Hause! Acht Familien wohnen schon hier. Ein Haus ist vermietet, sieben verkauft. 16 Häuser sind noch frei. Die Mieten, auch kurzfristig, bewegen sich zwischen 800 und 1000 Euro. Die Verkaufspreise pendeln zwischen 220.000 und 480.000 Euro. Das ist nicht gerade billig, aber es ist eben auch sehr viel aufwändiger, ein solches Haus zu konstruieren. Und Padrón hat nicht die Mittel eines Gaudís oder Hundertwassers zur Verfügung, lebt in einem politischen Umfeld, das ihn nicht willkommen heißt. Die Lage in der Nähe der Autobahn scheint nicht sehr glücklich, aber sie ruft mit ihren tausenden von vorbeifahrenden Autos die Aufmerksamkeit wach. Auch wird das, was im Äußeren begonnen wurde, nicht immer im Inneren konsequent fortgesetzt. Warum, in aller Welt, besteht der Fußboden aus Fliesen mit Holzimitat? Man hört ihn geradezu nach einer gnädigen Bedeckung in Form eines Teppichs schreien. Aber Padrón wehrt ab: Echtes Holz ist dem Menschen näher, aber es gibt auch das zeitgemäße Gebot, die Materialien möglichst einfach pflegen zu können. Und da sind seine Fliesen dem Holz weit überlegen. Er sei nicht unabhängig von den Wünschen des Publikums.
Tias und die Realität
Zu seinem Glück sei jetzt die letzte Schlacht gegen die Administration geschlagen, der Prozess sei gewonnen, die Häuser sind einzugsbereit, nach vielen Jahren des zermürbenden Wartens. Bis es soweit war, kam es zu einer Neuauflage der Auseinandersetzung, wie in Jandía, wie in La Oliva, mit den Baubehörden. Obwohl 2002 Padrón die Baulizenz erteilt wurde, verhängte die Gemeinde Tías 2004 einen Baustopp ohne Begründung. Gerichtliche Auseinandersetzungen folgten. Padrón gewann. Er weiß bis heute nicht, warum Tías ihm einen Stein nach dem anderen in den Weg legte. Der für die Bauplanung zuständige Concejal habe ihm gesagt, dass Tías auch dann gegen die Bauten vorgegangen wäre, wenn Antonio Gaudí höchstpersönlich die Lizenz beantragt hätte. Dieser Baustil, eigentlich überhaupt alles, das habe nichts mit Lanzarote zu tun.
Und was hat es mit Lanzarote zu tun?
Padrón verweist auf seine Kamine, auf die vielen vorspringenden Natursteine in seinen Fassaden, die "volados". "Oder ist das Lanzarote?" – Antonio Padrón steht auf einem seiner Balkone, von denen aus man einen Teil des Dorfes Tías sehen kann: lieblos hingeworfenen Bauschutt mitten im Ort, umher fliegender Müll, Häuserfassaden, deren trostlos-öde Gestaltung jede Fantasie meuchelt. Angenehm zu wissen, dass in diesem Häusergewühl, unweit der Ermita, noch ein Haus zu finden ist, das rund ist, individuell, das einlädt zum Anfassen. Auch hier hatte es den gleichen Ärger mit den Winkel- und Linealfetischisten gegeben. Seine Häuser seien die wirkliche Huldigung an die Insel, betont Padrón. Die alte Architektur rufe die Fantasie wach, und genau das mache er mit seiner "arquitectura fantástica". Das Haus in Jandía beispielsweise wurde in einem Buch mit dem Titel "Escultecturas Margivagantes, La arquitectura fantástica en España" von dem Kunsthistoriker Francisco José Galante Gómez vorgestellt. Escultecturas entstand dabei aus der Fusion von "escultura" (Bildhauerei) und "arquitectura". "Margivagantes" sind die, die immer am Rand (margen) herumvagabundieren (vagar). So einer ist er: ein Vagabund im Reich der Architektur, sich nie der vollen Töpfe in der Mitte des Reiches bedienend, sondern immer dort tätig, wo die Sattheit die Wachen an den Rand getrieben hat, provozierend, immer am Abgrund, immer in der Gefahr abzustürzen, um dann von denen, die es immer schon besser wussten, feixend beim Absturz beobachtet zu werden. Zentrifugal, weg von der Mitte, sich ausdehnend – das ist nicht nur die Beschreibung seines Weges, das ist auch die Beschreibung seiner Philosophie. "Extraposophie" nennt er sie, in Anlehnung an Steiners Anthroposophie. "Sie gründet sich in der sphärischen Verpackung des Menschen, in seinen verschiedenen Schutzschichten: Das Haus ist dabei die dritte Haut des Menschen.
Big Bang der Urbanisation
Beim Menschen und seiner ganz unmittelbaren Umwelt ergibt sich dieses Konzept auf ganz natürliche Weise: Sparen an Raum und Zeit, aber mit der größtmöglichsten Vielfalt, Wirtschaftlichkeit und Widerstandskraft. Dieses Konzept hat auch etwas mit der Vorstellung der Entstehung des Planetensystems zu tun: Dem Big Bang, der die Konzentration der Materie um einen Punkt herum beschreibt, immer in sphärischer Form, und mit immer größerer Kraft ausgestattet, je mehr Masse und Volumen vorhanden ist. Wenn sich der Wohnungsraum, jede Materie oder irgendeine andere Struktur in einer einzigen Richtung bewegt, zerbrechen diese Dinge an ihrem eigenen Gewicht, oder sie hören auf, noch zum Kern zu gehören, sie lösen sich auf. Diese Philosophie kann man sowohl beim Kreieren von Objekten, wie einem Haus beispielsweise, anwenden, wie auch beim Menschen. Sie bereichert ihn innerlich und äußerlich, und sie hat auch eine soziale Dimension." Die zentrifugale Kraft des Big Bang hat nie den Zusammenhang mit der Mitte verloren, Schicht für Schicht bildete sich neben der Materie die Raumzeit. Und so sollen sich auch Haus und Mensch in ihren Ausprägungen, ihrer Raumzeit, organisch entwickeln, immer um einen Kern herum, der die eigentliche Mitte nie verliert. Nur so können sich Haus und Mensch entwickeln, ohne am Exzess einer Lebensäußerung zu zerbrechen. Das Zentrum, die Mitte der padronschen Häuser, ist die Treppe, die im Innern jedes Hauses die Wirbelsäule des menschlichen Körpers nachbildet. An ihr hängt sich alles auf, sie bildet den Nukleus des architektonischen Big Bangs. Die Treppe ist der Kraftraum, auf den sich alles konzentriert und von dem alles ausgeht. Sie verbindet oben und unten, das Schlafen – unten – mit dem Wachen – oben – , das Unbewusste mit dem Bewussten. Die Mitte vereint immer die scheinbaren Gegensätze. Und hier sei noch einmal kurz auf Hundertwasser verwiesen.
Die Mitte, die Architektur und die Politik
Anfang 1983 schrieb er: "Österreich braucht ein übergeordnetes Zentrum, bestehend aus immerwährenden höheren Werten, die man gar nicht mehr auszusprechen wagt, wie Schönheit, Kultur, innerem und äußerem Frieden, Glaube, Reichtum des Herzens (…) Österreich braucht einen Kaiser, der dem Volke untertan ist. Eine übergeordnete und strahlende Größe, zu der alle Vertrauen haben, weil diese Größe im Besitz aller ist. Die rationalistische Denkungsart hat uns zwar in diesem Jahrhundert einen ephemeren höheren amerikanischen Lebensstandard auf Kosten der Natur und der Schöpfung gebracht, der jetzt wieder zu Ende geht, doch unser Herz, unsere Lebensqualität, unsere Sehnsüchte zerstört, ohne die ein Österreicher nicht leben mag. Es ist ungeheuerlich, dass Österreich einen Kaiser hat, der niemandem Böses tat und ihn dennoch wie einen Aussätzigen behandelt. Österreich braucht eine Krone! Es lebe Österreich! Es lebe die Konstitutionelle Monarchie! Es lebe Otto von Habsburg!" Das Bekenntnis zum übergeordneten Zentrum, das beherrscht und gleichzeitig der Diener aller ist, ist nicht nur eine politische Allüre, in diesem Fall ein Bekenntnis zur konstitutionellen Monarchie. Es drückt die Sehnsucht nach der Mitte aus, die wir in allen Bereichen, auch in Politik und Architektur, überhaupt im Leben, verloren haben. Auch in unseren Häusern haben wir die Mitte verloren. Sie wieder zu finden, führt uns zu uns selbst. Die Mahos und die Guanchen, sie alle, wir alle, lebten in unseren Anfängen in Höhlen. Nicht in Häusern, die mit dem Verputzlineal gemacht sind. Die moderne, pflegeleichte Höhle ist in Tías zu besichtigen. Würde Lanzarote einem Künstler wie Padrón mehr Raum geben, hätte es auch eine gute Chance, zu sich selbst zu finden. Und nebenbei: Ein größerer Komplex mit dieser Bauweise in einer attraktiven Umgebung würde Architekturstudenten und Kunstinteressierte aus aller Welt anziehen. Und Qualitätstourismus. Und den wollen doch angeblich die Verantwortlichen – oder sagen die das etwa nur? Wer beim Anblick der Häuser in Tías anfängt, darüber nachzudenken, ob das eigene Zentrum und das Zentrum des lanzarotenischen Lebens noch intakt und fühlbar ist, ob von ihm ausgehend die Entwicklung zwiebelschalenmäßig und organisch von statten ging, ob die Anerkennung des Unregelmäßigen und Unerwarteten nicht schon längst einer starren Lebensgeometrie gewichen ist, ob Spiel und "Ernst des Lebens" in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, der hat schon eine Menge verstanden. |
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Articulo en Lanzarote 37º: |
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